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12€ Mindestlohn für die Gastro

Die Löhne in der Gastronomie liegen oft im Bereich des Mindestlohns – keine Frage, das ist ein Problem.


12€ Mindestlohn für die Gastronomie - Zwischen Chance und Herausforderung

Bei der Ankündigung des Mindestlohns von 12€ ab Oktober 2022 habe ich kurz gezuckt. So sehr ich diese Entwicklung auch begrüße, ist mir bewusst, dass diese Lohnanpassung für kleine Gastro-Unternehmen eine echte Herausforderung sein kann. Durch langjährige Erfahrung als ehemalige Caféinhaberin und nun als Gastro-Gründungscoach, kenne ich inzwischen Berechnungen und Zahlen von erfolgreichen Konzepten. In der Kleingastronomie fließt nicht unbedingt viel Geld und der Chef füllt sich selten auf Kosten der Mitarbeiter:innen die Taschen.


Doch die Stimmung in meinem Netzwerk ist erstaunlich gut und verspricht eine positive Entwicklung – mit Nebeneffekten! Ich bin überrascht, wie wenig bisher über dieses Thema geschrieben wurde und nutze die Gelegenheit, meine Analyse in diesem Blogartikel zum Ausdruck zu bringen.


 

ein Anstieg der Lohnkosten um 20%


Die Gastronomie ist eine der personalintensivsten Branchen, sowie auch ihre Zulieferer (Erzeuger, Handwerks-Bäcker, etc.). In der Kleingastronomie erreichen die Personalkosten durchschnittlich 35% vom Umsatz.


Wenn eine ungelernte Kraft ab Oktober 12€ brutto pro Stunde verdient, sollten gleichzeitig auch die Löhne für erfahrene Mitarbeiter:innen und gelernte Kräfte steigen. Wir sprechen hier von einem Anstieg der Lohnkosten um etwa 20%, den sich ein Betrieb allein nicht finanzieren kann.


Lebensmittel, Energie, Personal, die Kosten steigen an allen Ecken und Enden. Die Gastronomie steht in diesem Jahr nicht nur unter Druck, sondern auch vor einem echten Umbruch. Dahinter sehe ich auch eine Chance, denn kein:e Unternehmer:in kann diese Herausforderungen kleinreden.

Grundsätzlich gibt es zwei Lösungsansätze:


1. Kosten sparen

Wer billiger einkauft hat keine Zukunft. In Zeiten des Klimawandels kann man nicht mehr an der Lebensmittelqualität sparen - im Gegenteil. Die Nachfrage nach Qualität und Nachhaltigkeit ist heute höher als je zuvor, Tendenz steigend.


Digitalisieren? Absolut, auch in kleinen Betrieben!

Mit klaren Prozessen und Systemunterstützung kann sich ein Team auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren und viel effizienter arbeiten (darüber habe ich ausführlich in diesem Blogartikel gesprochen).


2. Umsätze steigern

Mehr Umsatz durch steigende Verkaufspreise? Ja. Die Mehrkosten werden auf die Verkaufspreise umgelegt und damit schlicht und ergreifend an die Gäste weitergegeben. Somit dürften die Preise in der gesamten Branche zwangsläufig steigen - wenn auch nicht überall in gleichem Maße.



Preisstrategie im Wandel - eine Chance für Betriebe mit Identität


Ein Cappuccino, den du heute für 3,50€ bekommst, wird bald 3,80€ kosten. Ein Hauptgericht für 18,50€ wird unweigerlich die 20€-Marke knacken.


Nach meiner Einschätzung ist in der Kleingastronomie mit einer Preiserhöhung von 7 bis 10% zu rechnen. Das ist Fakt! Daran darf sich jede:r von uns als Gast gewöhnen.

In Betrieben mit einer schwächeren Identität könnte es das Aus bedeuten. Und vielleicht ist das auch in Ordnung, wenn ein Betrieb ohnehin nicht mehr zukunftsfähig ist. Doch werden neue, werteorientierte Konzepte diesen Schritt meistern? Davon bin ich überzeugt und unterstütze sie bei dieser Herausforderung. Faire Lieferketten und faire Löhne dürfen zu fairen Preisen führen.


Ob 12 € brutto pro Stunde jedoch als fairer Lohn gilt? Wenn man das Trinkgeld dazurechnet, vielleicht... Allerdings sehe ich gerade die Frage des Trinkgeldes sehr kritisch.



Trinkgeld ist unsozial!


Trinkgeld bedeutet Cash in der Tasche, steuer- und sozialabgabenfrei - buchstäblich "unsoziales Geld"! Ich glaube nicht an Trinkgeld! Es ist geduldetes Schwarzgeld, das zu zeitlich verzögerten Problemen führt.


Das Konzept des Trinkgelds [...] verschiebt die Verantwortung für soziale Gerechtigkeit von Politik und Gesellschaft aufs Individuum und ermöglicht Arbeitsverhältnisse, die auf Ausbeutung basieren. Lasst es uns bitte abschaffen. Und bis dahin trotzdem weiter Trinkgeld geben. - Robert Hofmann, Journalist

Was sich für Arbeitnehmer:innen in erster Linie gut anfühlt, ist eine fiese Mogelpackung. Denn Trinkgeld bekommt eine:r, wenn die Arbeit getan ist. Wer aber im Urlaub, im Krankenstand oder im Mutterschaftsurlaub ist, fällt sofort auf ein niedriges Lohnniveau. Auch bei der Berechnung von Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld wird lediglich der Lohn ohne Trinkgeld zugrunde gelegt.


Von Rentenansprüchen ist nicht einmal die Rede. Zwar interessieren sich wenige Studierenden für die Rente, doch wenn wir die Gastronomie attraktiver machen wollen, sollten wir auf eine langfristige Bindung der Mitarbeiter:innen weit über das Studentenalter hinaus setzen und sie vor Altersarmut schützen.



Willkommen in meiner Utopie


Es wäre wesentlich sozialverträglicher, wenn wir es der gesamten Gastronomiebranche ermöglichen könnten, die üblichen 10 % Trinkgeld auf die Preise aufzuschlagen und damit Löhne weit über dem Mindestlohn zu zahlen.


Mit besserer Bezahlung machen wir die Gastronomie-Branche für Angestelt:innen wieder attraktiv. Das ist gut, denn wir brauchen gute Arbeitskräfte, die Spaß an Ihrer Arbeit haben. Menschen, die die Gastronomie als Branche lieben und davon leben können!


Wäre der Lohn angemessen, dürfte das Trinkgeld keine Rolle mehr spielen. Ich glaube nicht an die Motivation durch Geld, weder für die Angestellt:innen noch für die Inhaber:innen.


Wenn das Gehalt stimmt, kommen Kreativität und Leidenschaft zum Vorschein.

Freundliche Bedienungen, ein glückliches Team, entspannte Chef:innen und ein gutes Miteinander färben unweigerlich auf die Gäste ab. Für eine angenehme Atmosphäre, beste Speisen und Getränke und freundliche Begegnungen zahlen Gäste bereits heutzutage gerne eine höhere Rechnung, welche die erbrachten Leistungen entspricht!



Es bleibt zu hoffen, dass die im Rahmen der Corona-Krise beschlossene Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 7 % für Speisen (zeitlich auf Dezember 2023 begrenzt) langfristig bestehen bleibt, wie es in Nachbarländern wie Frankreich schon seit längerem der Fall ist. Das würde die ohnehin unvermeidliche Inflation der Gastronomiepreise in Grenzen halten und meiner Utopie eine echte Chance geben! 


 

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